Auswirkungen des Verbotes zur Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel - beschrieben von Zeitzeugen

Aus einem Brief von Hermann Samter vom 11. 7. 1942:

"... Berlin: Seit dem 1. Mai besteht ein Verbot für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Erlaubnis haben nur:

  • Leute, die zur Arbeit fahren u. einen Weg von mehr als 7 km haben oder krank sind.

  • Schulkinder, die einen Weg von 5 km haben oder krank sind.

  • Ärzte, Krankenschwestern und Konsulenten.


  • Diese Leute dürfen aber nun nicht etwa private Besuche per Bahn machen. Tante Nellys Weg ist erfreulicherweise über 7 km und ich habe großes Glück: Ich bekam einen Dienstausweis für sämtliche Verkehrsmittel, da ich oft in die Druckerei muss. Natürlich muss ich bei Kontrollen jederzeit nachweisen können, dass es sich um eine dienstliche Fahrt handelt. Also spät abends, Sonnabend Nachmittag oder Sonntag ist da nichts zu machen. - Die Folgen sind schlimm: abgesehen davon, dass nun viele einen Weg von über einer Stunde von und zur Arbeit zu gehen haben, hört doch auch der private Verkehr weitgehend auf. Eltern können ihre Kinder oft nicht mehr besuchen, Ausflüge kommen schon gar nicht in Frage, Krankenhausbesuche sind auch für die meisten nicht mehr möglich, ... und wer soll noch zum Friedhof nach Weißensee laufen? Das Betreten des Tiergartens und sämtlichen Parkanlagen wurde verboten, ferner darf man folgende Straßen nicht mehr entlanggehen (kreuzen darf man sie): Tauentzien u. Hardenbergstraße, von Zoo bis Wittenbergplatz, Linden vom Brandenburger Tor bis zur Kaiser-Wilhelm-Str. Kurfürstendamm und Budapester Straße von Bleibtreustraße bis Kurfürstenstraße. Besonders das Verbot des Tiergartens verlängert die Wege oft ganz enorm. Natürlich, führt das nun dazu, dass Leute ohne Stern herumlaufen, was zur Folge hat, dass sie mit dem nächsten Transport fortmüssen, wenn sie geschnappt werden..."

    Judenbannbezirke in Berlin

    Stadtplan von Berlin mit  gekennzeichneten Judenbannbezirken

    Ab dem 5. Dezember 1938 durften Juden die hier in der Karte gekennzeichneten Plätze, Gebäude, Straßen und Parkanlagen weder betreten noch befahren.


    Ein Schild mit der Aufschrift:'In diesem Ort sind Juden unerwünscht!'


    Der Literaturwissenschaftler Max Herrmann arbeitete an einem Buch über die Entstehung der berufsmäßigen Schauspielkunst. Bald durfte der Gelehrte, der "Halbjude" war, die Universitätsbibliothek nicht mehr benutzen. Dann wurde ihm der Zutritt zum Lesesaal der Staatsbibliotlhek verboten, er erhielt wenigstens die "Sondervergünstigung" Bücher entleihen zu dürfen. Zuletzt durfte er nur noch stehend an Ort und Stelle, in der Ausleihe der Bibliothek, Einsicht in die Bücher nehmen, bis auch das wegfiel und er auf sein Gedächtnis oder heimlich von Freunden besorgte Bücher, Abschriften und Fotokopien angewiesen war. Seine einstige Mitarbeiterin schreibt:

    "Ich erinnere mich deutlich eines Tages, an dem Max Herrmann eben zu solcher Einsichtnahme in die Staatsbibliothek ging. Ja, er ging: von der Eislebener Straße am Bahnhof Zoo bis Unter die Linden, denn die Benutzung von Bahnen aller Art war Juden verboten. Ich hatte ihn gebeten, ihn begleiten zu dürfen. Und es ist mir unvergeßlich, wie wir nicht durch den Tiergarten auf kürzestem Wege gehen konnten, weil Juden Grünanlagen nicht betreten durften. Umweg um Umweg mußten wir machen, weil ihm das Überqueren gewisser Straßenzüge verboten war. Die Benutzung einer Bank an irgendeiner Straßenseite war dem mit einem Stern Gezeichneten untersagt. Und so kam er nach mehr als zweistündigem Weg völlig erschöpft in der Ausleihe an. Ich sehe ihn noch, tief aufatmend, in eines der Ledersofas sinken - wenige Sekunden später kam ein Beamter der Ausleihe auf ihn zu und erklärte dem Fünfundsiebzigjährigen, er möge aufstehen, als Jude habe er nicht das Recht, irgendwo im Hause der Staatsbibliothek zu sitzen. Mit unnachahmlicher Hoheit und Würde erhob sich Max Herrmann und stellte sich nun an eines der Stehpulte, um dort mit eiserner Energie etwa dreiviertel Stunden stehend zu arbeiten und dann wieder auf sinnlosen Umwegen den über zweistündigen Rückweg anzutreten."

    Eine Woche vor dem Abtransport nach Theresienstadt konnte er sein Werk beenden; zwei Monate später, am 16. November 1942, kam der Gelehrte im Konzentrationslager um. Aus: W. Löschburg. Unter den Linden, Berlin (DDR) 1972, S. 233f.



    "Es gab Beamte in den öffentlichen Verkehrsmitteln, die diese Fahrerlaubnis genau studierten. Es muß aber gesagt werden, daß diese in der Minorität waren, denn die meisten betrachteten die Extraschikane für die jüdische Bevölkerung als unangebracht und überflüssig; sie winkten ab, wenn man ihnen den gelben Ausweis vor die Nase hielt. Natürlich konnte ein Schaffner nie wissen, ob er vielleicht beobachtet wird..."

    Aus dem unveröffentlichten Manuskript "Deutschland; Ein Zeitbild 1926-1945-Leidensgeschichte eines deutschen Juden in den ersten 19 Jahren seines Lebens". S.193. Leo Baeck Institute, New York




    Eine polizeiliche Fahrerlaubnis für die Stadt- und Strassenbahn ausgestellt für Fritz Israel.

    Dies ist eine polizeiliche Genehmigung, welcher jeder jüdische Bürger, der mit der Stadt- oder Strassenbahn fahren mußte, zu beantragen und dann bei jeder Fahrt bei sich zu tragen hatte.

    Weitere Zeitzeugenberichte zu den Einschränkungen vor 1942